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Gegen das Vergessen

Gegen das Vergessen

Aus den Bergischen Blättern vom November 2023

Gisela Schmoeckel

Am 31. Mai 1942 verhaftete die Gesta­po im von Deutschland besetzten tschechischen Karlsbad während sei­ ner Kur den aus Elberfeld stammenden Ma­schinenzeichner Otto-Karl Hili. Man warf ihm vor, sich negativ über den stellvertreten­den Reichsprotektor von Böhmen und Mäh­ren, Reinhard Heydrich, und die nationalso­zialistische Judenverfolgung geäußert zu ha­ben. Weil er als homosexueller Schutzhäft­ling eingestuft wurde, kam er in das Konzen­trationslager (KZ) Sachsenhausen.

Schwer misshandelt verstarb er schon kurze Zeit später im November 1942. Seine Mutter in Wuppertal erhielt die Nachricht, er sei an einer Rippenfellentzündung gestor­ben. Als sie 1958 eine Entschädigung beim Regierungspräsidenten Düsseldorf wegen seines Todes im KZ beantragte, erhielt sie den Bescheid, dass der Grund seiner In­haftierung der Verstoß gegen den Paragrafen 175 des Strafgesetzbuchs war und er deshalb als „Krimineller" und nicht als politisch Ver­folgter gelte. Somit habe er keinen Anspruch auf Entschädigung.

Heute wirkt diese Tatsache aus der Nach­kriegszeit schockierend. Nahezu vergessen ist, dass auch nach dem Ende des 2. Welt­kriegs der berüchtigte Paragraf 175 noch Gültigkeit hatte - inklusive seiner Verschär­fung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1935.

Der Remscheider Autor und Lokalhisto­riker Johann Max Franzen, bekannt durch sein Buch über die Verfolgung und Vernich­tung von Remscheider Vertretern des Politi­schen Widerstands in der Zeit des National­sozialismus, dokumentiert in seinem neuen Buch „Die Vergessenen aus dem Bergischen Land" das Schicksal von Otto-Karl Hili und 20 anderen Personen aus der bergischen Re­gion. An sie erinnern neuerdings Stolper­steine des Aktionskünstlers Gunter Demnig.

Erst 1994 wurde das Gesetz zur Verfol­gung homosexueller Straftaten endgültig aus dem Deutschen Strafgesetzbuch gestrichen. Seit 2017 haben homosexuelle Justizopfer die Möglichkeit zur Rehabilitierung und Entschädigung für erlittenes Unrecht, Ge­fängnisaufenthalte und Ermittlungsverfah­ren.

Der berüchtigte Paragraf 175, nach dem der Begriff „175er" für homosexuelle Män­ner in der Bevölkerung üblich war, ist hoffentlich Geschichte und die Erinnerung an das Leiden der Menschen, die unter die­sem Strafgesetz seit 1871 in Deutschland - mehr noch seit der Verschärfung durch die Nationalsozialisten - gelitten haben, ist na­hezu vergessen.

Ergreifend sind die sachlich geschilderten und durch Dokumente belegten Schilderun­gen ihrer erschütternden Lebenswege. Das Buch macht nicht nur das bedrückte, unfreie und immer gefährdete Leben von Menschen verfolgter Minderheiten deutlich, sondern gibt im ersten und letzten Teil einen Über­blick über die Geschichte der Homosexuel­len-Verfolgung seit dem Mittelalter und der Einführung des Paragrafen 175 im Preußi­schen und Deutschen Gesetzbuch mit all den unsäglichen, unaufgeklärten Deutungen der sexuellen Veranlagung.

So war Homosexualität früher eine zu be­strafende Sünde und ein Verbrechen; später wurde sie als „heilbare Krankheit" verstan­den. Die engagierte Recherche des Autors hätte allerdings von Seiten des Bergischen Verlags Remscheid ein besseres Lektorat und Layout verdient.